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Job Speed Dating oder was Arbeits- und Liebesmarkt gemeinsam haben...


(Kaufmännischer Verband Bern, Bericht zum Event: Job Speed Dating in Bern)


Stade de Suisse/Wankdorf, 13:30 Uhr, in der Champions-Lounge herrscht emsiges Treiben, denn in einer halben Stunde beginnt hier ein Balztanz der besonderen Art. Nicht liebes hungrige Singles stehen beim dritten, vom KV Bern organisierten, Job Speed Dating im Mittelpunkt, sondern jobsuchende Menschen auf der einen und jobanbietende Firmen auf der anderen Seite.

Was schon 1998 von einem Rabbi in den USA, zwecks Stiftung jüdischer Ehen, ersonnen wurde, hat sich inzwischen auf den Arbeitsmarkt adaptiert. Das Rezept ist simpel und die Mechanismen stets dieselben. Die Firmen, man könnte auch sagen die Bräute, haben sich an ihren Tischchen platziert und die, meist jüngeren, Kandidatinnen und Kandidaten, analog den Brautwerbern, plangen darauf, sich an ebendiese Tischchen zu setzten, um sich präsentieren zu können. Die Rollen sind, wie beim Balzverhalten in der freien Wildbahn, klar verteilt. Die „Weibchen" lassen sich von den „Männchen" bezirzen, sind sie es doch, welche das Objekt der Begierde, einen Job, anzubieten haben. Master and Servant, daran hat sich nichts geändert. Jedoch hat hier, im Gegensatz zur natürlichen  Balz, Jeder und Jede die Möglichkeit, während rund acht Minuten vorstellig zu werden und sich, im Dialog mit den Firmenvertretern, präsentieren zu können, bevor das bimmelnde Glöckchen zur Rochade aufruft. Statt buntem Federkleid, grossem Geweih oder ritualisiertem Balzgehabe, bestimmen hier das persönliche Auftreten, Sprache, Mimik und Inhalte das Geschehen. Wobei das, genaugenommen, auch nicht wesentlich von der Mechanik abweicht, die hinter der klassischen Brautwerbung steckt.

Sei’s drum, beim Job Speed Dating entsteht ein wirklicher, ein echter Kontakt und das ist schon mal der wesentliche Unterschied zur unsäglichen Dossierherumschieberei, wie sie auf dem Arbeitsmarkt vorherrscht. Hand aufs Herz, wo oder wie sonst ist es einem, Arbeit suchenden, Menschlein möglich, sich an einem Nachmittag sieben oder achtmal zeigen zu können. Zumal in einem Arbeitsumfeld welches von Dossiers geflutet wird, wie die Berner Altstadt nach dem Öffnen der Thuner Schleusen bei grossen Unwettern?

Still und diskret beobachte ich die Szenerie, lausche hier kurz rein und höre da kurz zu. Ich schaue in all die hoffnungsfrohen Gesichtchen und weiss aus eigener Erfahrung, wie sich die einzelnen Menschen fühlen. Ich würde am liebsten alle in den Arm nehmen und mit einem tollen Job nach Hause schicken. Leider geht das, bei acht Firmen und rund vierzig Kandidatinnen und Kandidaten, schon rein rechnerisch nicht. Und hier beginne ich mir innerlich Fragen zu stellen. Ich sehe diese grosse Imbalance unter den Teilnehmenden und frage mich, woran liegt‘s? Während beim klassischen Speed Dating ein Gleichgewicht an Männlein und Weiblein gewollt und gegeben ist, herrscht hier ein Verhältnis von 1:5 von Firmen zu Kandidaten. Nicht viel anders sieht es am zweiten Tag aus, der für den Detailhandel reserviert ist. Da versammeln sich gerade mal 9 Firmen um sich ihrerseits eine Perle zu fischen.

Wie kann es sein, dass ein solch innovatives Instrument, vom KV Bern den interessierten Firmen und KV Mitgliedern kostenlos zur Verfügung gestellt, nicht besser genutzt wird? Ist es wirklich einfacher teure Inserate zu schalten, sich hunderte Dossiers schicken zu lassen, nur um diese nach Killerskills zu sortieren und anschliessend im Hoffnungsschredder der HR-Abteilungen zu entsorgen, anstatt sich ein Gratistischchen zu schnappen, zwei Firmenvertreter hinzuschicken und sich die, vorwiegend tollen, Bewerberinnen und Bewerber, in Echt und in Farbe anzuschauen. Sie zu Wort kommen zu lassen, wenn auch nur im Schnelldurchlauf und nach den gleichen Regeln, wie sie auch in der Welt des Dossierwahns gelten. Sind die Arbeitgeber einfach nur träge und gesättigt, weil ihnen besagte Dossiers so zahlreich zufliegen wie erschöpfte Alaskalachse in die Mäuler der auf sichere Beute wartenden Grizzlybären?

Müssten sich nicht statt der acht Firmen deren achtzig fröhlich im Stade de Suisse tummeln und statt der vierzig Bewerbenden, deren vierhundert? Oder spiegelt das Gesehene schlicht und einfach den aktuellen Stand am Arbeitsmarkt wider? Zu viele Kandidaten für zu wenige Jobs? Ich kann es nicht definitiv beantworten, vermute aber Letzeres, wie ich schon an anderer Stelle umschrieben habe. Ebenso entzieht sich meiner Kenntnis, was der konkrete Erfolg dieser proaktiven und empfehlenswerten Veranstaltung betrifft. Zu guter Letzt frage ich mich, warum sich der KV Bern initiativ zeigen muss und eine Plattform bietet, die eigentlich Aufgabe der Arbeitgeberseite wäre? Mal neue Wege gehen beim Kandidatenfischen, raus aus dem Reduit des klassischen HR-Denkens, rein ins echte Leben. Den Puls an der Basis fühlen und das, angeblich, so wertvolle Kapital nicht nur am Bildschirm begutachten. Oder hat schon mal jemand Bauern auf einem Viehmarkt gesehen, die sich anhand von schnöden Datenblättern ein Chueli oder ein Muneli ausgesucht haben?

Wie auch immer, das Job Speed Dating kann und will wohl nicht das Allheilmittel sein, wenn es darum geht Arbeitgeber und Arbeitsuchende zusammen zu bringen. Wie beim, von Lust und Liebe gesteuerten Original Speed Dating, gibt es immer Erwartungen und Enttäuschungen. Nicht alle können und werden dabei erfolgreich sein, auf beiden Seiten der Hoffnungstischchen. Es fällt schwer, Absagen zu erteilen und noch schwerer sie einzustecken. Dennoch kann es ein lohnenswertes Teilchen sein im grossen Puzzle der Stellensuche und Stellenbesetzung. So gesehen war der Anlass des KV Bern, trotz bescheidenem Aufmarsch, ein voller Erfolg. Zumindest haben die Teilnehmenden eine, hoffentlich, wertvolle Erfahrung machen können. Das alles in der Champions-Lounge des altehrwürdigen Wankdorfstadions, mit Blick auf den heiligen Rasen, auf welchem, wie im richtigen Leben, viel gekämpft, nicht immer gewonnen, aber stets wieder aufgestanden und an Wunder geglaubt wird…

 
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